Die vieles preisgebende Verhüllung des weiblichen Körpers tritt einer vernebelnden, verwirrenden, alles offenlegender Verkleidung von Haut entgegen, und beides schlägt sich nieder auf zartem weiblichen Fleisch. Bondage und Mode – was haben diese beiden Extreme der menschlichen physischen Verbrämung gemeinsam? Ein Großteil der Mode benutzte schon wiederholt Bondage-Referenzen, um mutige Stilaussagen zu treffen. Diese Verwendung der Motive einer Subkultur innerhalb des Mainstream-Stils der Gesellschaft oder in der Mode ist keineswegs eine Neuheit – etwas, das jeder, der eine Vivienne Westwood-Kollektion gesehen hat, wahrscheinlich sagen wird. Designer haben sich schon lange von Punk-, Goth- und Rave-Kulturen inspirieren lassen, um ihre Kreationen zu beeinflussen, und Bondage unterscheidet sich hiervon nicht.
Annette Merrild’s fotografische Serie Self Control über Self Bondage (Selbstfesselung) sprengt die Grenzen herkömmlicher Paradigmen. Die Kunst der Selbstfesselung wird von ihren Protagonistinnen nicht nur als verstärkendes Vehikel zum Lustgewinn im Rahmen eines autoerotischen Szenarios benutzt. Sie entkleiden die Praktik der Selbstfesselung vom Mantel des Perversen und erheben die Knüpfkunst zum ästhetischen Imperativ. Die Fesselungen werden von den Frauen selbst geknüpft und versteckt unter der eigentlichen Tageskleidung getragen. Motivation ist der Reiz an der Selbstkontrolle, auch der Spaß am Umgehen gesellschaftlicher Normen. Keinesfalls ordnen sich die Frauen als Objekt einem dominierenden sexuellem Subjekt unter. Fesselungen, die Entscheidungsautonomie einschränken, sind nicht vorzufinden. Merrilds Aufnahmen stehen gleichzeitig für eine emanzipierte Auslegung weiblicher Sexualität, die ideengeschichtlich betrachtet im feministischen Diskurs zu verorten ist und einen wichtigen Beitrag zur postmodernen ‚Feminist Art’ darstellt.
Annette Merrild wurde 1972 in Dänemark geboren. Nach einem Studium der klassischen Maltechniken an der Schule für Visuelle Kunst in Kopenhagen von 1992 bis 1993 arbeitete sie für ein Jahr ab 1995 als Holzschnitzerin bei der Cooperation Akamba Handcrafts Industry in Mombasa, Kenia. 1996 bis 2002 studierte sie an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg bei Werner Büttner und Bernhard Blume und schloss das Studium als Meisterschülerin ab. 2004 erhielt sie dort das Ehrendiplom von Franz Erhard Walther.
Für Isabel Vollrath sind Kleidungsstücke dreidimensionale Zeichnungen, Collagen, Objekte der ‘Bildhauerei’, sozialkritische/politische Statements und/oder ‘kulturelle Reiseberichte’.
Mit einer außergewöhnlichen Materialwahl und wertigen Details setzt die Berliner Designerin, die sich im Spannungsfeld von Mode und Kunst bewegt, Akzente mit Wiedererkennungswert.
Mittels historisierender als auch avantgardistischer, skulptural-futuristischer Stilelemente, einer kontrastreichen, abstrakten, zugleich figurbetonten Schnittführung lässt sie raumgreifende, ausdrucksstarke Silhouetten entstehen. Als Absolventin der renommierten Kunsthochschule Berlin Weißensee erhielt Isabel Vollrath bereits zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, unter anderem den Förderpreis für textilen Branchennachwuchs der Wilhelm-Lorch-Stiftung (2010), den Baltic Fashion Award (2011), den Förderpreis der Handwerkskammer Berlin (2012) sowie einen Award des “International Talent Support” in Triest/Italien (2012) . Vor ihrem Modestudium absolvierte die Designerin eine Ausbildung zur Herrenmaßschneiderin in Baden-Baden und arbeitete anschließend ein halbes Jahr lang bei Couturier Stefano Nicolao in Venedig. Nach ihrem Studium verbrachte sie im Rahmen des “Go-East-Stipendiums 2 Monate an der Stieglitz-Akademie in St. Petersburg und wurde 2011 zur Meisterschülerin ernannt.
Eine weitere Förderung künstlerischer Weiterbildung erhielt sie durch das Elsa-Neumann-Stipendium des Landes Berlin. Ihre Arbeiten wurden in Ausstellungen, Galerien und Museen gezeigt, unter anderem im KunstHaus Wien, im BMW-Museum in München und im Kulturforum in Berlin. 2015 gründete sie ihr eigenes ModelabeI mit dem Titel I’ VR ISABEL VOLLRATH und zeigt ihre Kollektionen halbjährlich im Rahmen der Berliner Fashion Week und des Berliner Salon/Vogue Salons. Als Gewinnerin des “Vote for Fashion” Preises ist ihr Label seit Januar 2019 mit der jüngsten Kollektion “Edition Caravaggio” auch im Verkaufssortiment des KaDeWe vertreten.
Grundsätzlich war und ist der Mainstream-Stil einer Gesellschaft immer an Dingen interessiert, die an seinen eigenen Rändern liegen, interessant ist aber insbesondere, wie sich die Ränder ständig verändern. Diese Veränderung offenbart ebenso eine Faszination des Geheimnisvollen, so wie in dieser Ausstellung, die zwei möglichen Fragen nachgeht: was fasziniert mehr – das Tabu, der sexuelle Subtext einer Fesselung oder das High-Fashion-Element, das die Sexualität entfernt und sich über den Stil erhebt – sie aber nicht beantwortet.